Filmreihe
ACHTUNG VON FRAUEN GEFILMT
SICHTWEISEN. PERSPEKTIVEN. STANDPUNKTE. Als Caroline Champetier in den 1970er Jahren mit der Welt des Filmemachens in Berührung kam, interessierte sie unweigerlich der Platz, der Frauen dort verwehrt war. "Für mich war die Maschine des Kinos sofort die Kamera. Die Maschinen waren für Frauen verboten. Ich hatte eine Solex, es interessierte mich sehr, sie reparieren zu können; etwas von dem, was uns verboten war, zog mich an."
1982 begann sie ihre Karriere als Kamerafrau mit der belgischen Filmemacherin Chantal Akerman, die für ihren Film TOUTE UNE NUIT radikale formale und dramaturgische Entscheidungen traf: Dieser Film, das sind Fragmente von Intensität, die fast alle mit dem Zittern, der Unruhe, Ungeduld, der liebenden oder sexuellen Spannung zu tun haben. Wir freuen uns sehr, die schweizweite Premiere der 2K-Restaurierung mit Farbkorrekturen unter der Leitung Champetiers dem Bieler Publikum an drei Abenden präsentieren zu dürfen.
Wieso werden mehr als vierzig Jahre später Namen von Bildgestalterinnen auf Anhieb immer noch häufig mit einer Geschlechtszuschreibung verbunden und - anders als bei ihren männlichen Kollegen - die Individualität des künstlerischen Handwerks, für die diese Namen stehen, übersehen? Mit einer Auswahl herausragender Werke von sieben renommierten Kamerapersonen widmet sich das Filmpodium Biel/Bienne in der neuen Programmreihe diesem Missverhältnis und präsentiert die Virtuosität und Unvergleichbarkeit ihrer Arbeit. Wieviel ist ihren Bildkonstruktionen gemeinsam? Was unterscheidet sie? Ist es eine Absicht? Eine Sichtweise? Ein Versuch? Der Versuch beispielsweise, möglichst viel in möglichst wenigen Bildern auszudrücken, wie Agnès Godard ihre Zusammenarbeit mit Ursula Meier bei L‘ENFANT D’EN HAUT erinnert. Oder die Idee, die Schauspielenden zu filmen, während sie noch nicht ganz fertig sind, um im Prozess langer Einstellungen eine Zerbrechlichkeit einzuführen, die sich nicht mehr zurückgewinnen lässt, wenn alles an seinem Platz ist – so wie sie Jeanne Lapoirie für die Dreharbeiten mit Catherine Corsini von LA FRACTURE formuliert. Oder ein besonderer Sinn für Licht, den Akiko Ashizawa nach eigener Aussage in der Rinpa-Schule der dekorativen japanischen Malerei aus der Edo-Zeit aufspürt, um es in Filmen wie TO THE ENDS OF THE EARTH von Kiyoshi Kurosawa mit ihrer Fotografie zu reflektieren? Das Spektrum unterschiedlichster Bildsprachen geht ins Unendliche.
Was genau trennt dann die Sprachen von Kamerafrauen und Kameramännern? Es ist sicherlich ein Widerstand gegen eine voyeuristische Situation, ein female gaze, diese erste feministische Geste des Zurückblickens, die Agnès Varda als Akt der bewussten Entscheidung beschreibt - „zu entscheiden, dass die Welt nicht dadurch definiert wird, wie die Leute mich sehen, sondern wie ich sie sehe.“ Selbstbestimmt wie die Visionen von Lust und Sexualität, die eine Gruppe junger Frauen in Patrick Muronis ARDENTE·X·S mit der Handkamera pornografisch sichtbar werden lassen. Aber ist die Übersetzung gelebter Erfahrung in einen Blick oder einen Standpunkt oder eine Perspektive nicht eine noch viel komplexere Angelegenheit, die es unmöglich macht, Trennungslinien zu ziehen? Wie wäre es, von einem „individual gaze“ zu sprechen, wie die argentinische Kamerafrau Natasha Braier vorschlägt, die bei ihrer Arbeit mit Maria Schrader an SHE SAID die Kamera „eine gute Zuhörerin“ sein lassen wollte, „unsichtbar, beobachtend“. Virginie Saint Martin erklärt, dass es die Persönlichkeiten sind, die die Bilder unterschiedlich machen. Während Teona Strugar Mitevska in ihrem jüngsten Werk THE HAPPIEST MAN IN THE WORLD ein Dating-Event in Sarajevo zunächst satirisch als Kongress inszeniert, um es bald darauf von den Wunden des Krieges zersplittern zu lassen, filmt Saint Martin die in einem Hotelraum versammelten vierzig Schauspielenden zunächst wie eine perplexe Zeugin. Bald jedoch beginnt sie mit ihrer Kamera immer wieder Nähe und Distanz neu zu gewichten, um auf diese Weise zu erforschen, was im Inneren der Beteiligten liegt. Die Bieler Premiere des wegweisenden Werks der gefeierten Regisseurin eröffnet die neue Programmreihe am 23. März.
Endlich kommt auch ein anderer lang erwarteter und viel beachteter Film nach Biel: Charlotte Wells porträtiert in ihrem preisgekrönten Spielfilmdebut AFTERSUN eine offene, verspielte und liebevolle Tochter-Vater-Beziehung. Dabei erkundet sie mit subtiler inszenatorischer Wucht die Schwierigkeit, Erinnerungen festzuhalten, und den Schmerz, diese zu verlieren. Eine einfache Geschichte über eine Interdependenz, deren Intensität sich von der ersten Einstellung an in tranceartigen Bildern niederschlägt. Und schliesslich nimmt das Filmpodium Biel/Bienne aufgrund der grossen Nachfrage den beeindruckenden Tanzfilm und Publikumsliebling DANCING PINA wieder ins Programm.