Filmreihe
CINEMA ITALIANO – QUEERSICHT ON TOUR – BEMOVIE – PREMIEREN & SPECIALS
LEBENSGEFÜHL UND GESCHICHTE: Meisterwerke und das neue junge Filmschaffen Italiens
Die Liebe zu ihrem unehelichen Sohn lässt eine Prostituierte über ihr Schicksal hinauswachsen. In Pier Paolo Pasolinis zweitem Spielfilm MAMMA ROMA trifft Elend auf Hochkultur, lange Einstellungen von Verlorenheit, römische Ruinen, christliche Ikonografien und institutionelle Orte der Ausgrenzung verdichten sich zu einer Bildsprache von hoher Intensität. In der Hauptrolle Anna Magnani, die ihre Figur kämpferisch und impulsiv anlegt.
Auch Alice Rohrwacher porträtiert in ihrem neuesten Werk LA CHIMERA die Lebenswut der Verarmten vor dem Hintergrund von Ausbeutung und Korruption und führt uns durch die Tiefen etruskischer Gräber in die Seelenlandschaft eines Einzelgängers. Mit Josh O’Connor in der Hauptrolle (“The Crown“, “God’s Own Country”).
Beide Filmschaffenden spielen mit allen Ebenen des Kinos, nutzen Musik und Licht, Mythologie und Bildwitz, um die Übersehenen und Missachteten ins Rampenlicht zu stellen: Es ist die Lebenswut gesellschaftlicher Aussenseiter, denen wir unsere neue Filmreihe widmen und damit einen erlebnisreichen und spannenden Einblick in das Lebensgefühl und die Geschichte Italiens offerieren.
Das Programm erzählt von selbstbestimmten Müttern und desorientierten Männern, von Sehnsüchten, Transitionen oder der Kraft des Träumens. Ein junger transidenter Mensch bewegt sich wie ein Ausserirdischer durch ein Rom, das gespalten scheint zwischen Moderne, Katholizismus und den exzentrischen Fernsehauftritten von Patty Pravo und Raffaella Carrà (L’IMMENSITÀ von Emanuele Crialese.)
Mit überraschender Begeisterung gehen Häftlinge in einem Theaterworkshop dem Sinn des Wartens auf den Grund (GRAZIE RAGAZZI von Riccardo Milani.) An ihrem vierzigsten Geburtstag erscheint einer Frau der Erzengel Gabriel (BEATA TE von Paola Randi.) Ein akribischer Pianist versteckt einen von der Camorra gesuchten Nachbarsjungen (IL BAMBINO NASCOSTO von Roberto Andò.) Auf einem atemberaubenden Roadtrip geraten ein Migrantensohn und ein von Geistern verfolgter Cop aus der Spur (NOTTE FANTASMA von Fulvio Risuleo.) Ein in Kairo ansässiger und zum Islam übergetretener Bauunternehmer kehrt in seine Heimatstadt Neapel zurück, wo alles gleich ist, und nichts, wie es war (NOSTALGIA von Mario Martone.)
Acht existentielle Geschichten des Menschseins bieten eine einmalige Gelegenheit, das neue junge künstlerisch engagierte Filmschaffen Italiens zu entdecken und sowohl mit alten als auch aktuellen Meisterwerken des Cinema Italiano in Beziehung zu setzen: von der Komödie über den Autorenfilm, vom Drama bis zum Klassiker.
QUEERSICHT ON TOUR: POWER TO THE PEOPLE
Endlich ist es so weit: Das LGBTIAQ+-Filmfestival von Bern geht auf Reisen und präsentiert vier Filme des Programms an fünf aufeinanderfolgenden Tagen vom 9. bis 13. November im Filmpodium Biel/Bienne. Wir eröffnen die Reihe mit zwei „Teddy“-Gewinnern der diesjährigen Berlinale: Der 1987 ins Leben gerufene weltweit erste offizielle queere Filmpreis auf einem A-Festival ging dieses Jahr in der Kategorie dokumentarischer Arbeiten an den bereits in unserer letzten Programmreihe vertretenen grossartigen Essayfilm ORLANDO, MA BIOGRAPHIE POLITIQUE von Paul B. Preciado. In seinem Film zeichnet Preciado seine eigene Verwandlung nach und lässt 25 andere trans und nicht-binäre Menschen im Alter zwischen 8 und 70 Jahren zu Wort kommen. Eine kollektive Geschichte, die noch immer eine des Kampfs für Anerkennung und Sichtbarkeit ist.
Der Spielfilm-Teddy ging an einen queeren Film aus Nigeria – ein Land, das Homosexuelle bestraft: ALL THE COLOURS OF THE WORLD ARE BETWEEN BLACK AND WHITE von Babatunde Apalowo spielt in der pulsierenden Metropole des heutigen Lagos und geht viele Risiken ein, um diese besondere Geschichte zu erzählen. Viele queere Menschen in Nigeria verstecken sich, aus Angst vor den Konsequenzen, die ihnen drohen, wenn sie es wagen, ihre abweichende Identität zum Ausdruck zu bringen. Der Film erzählt ihre Geschichte durch die Augen von Bambino, einem jungen Mann, der sich in einer prekären Situation befindet, gefangen zwischen der Einhaltung der Moral, zu deren strikter Befolgung er erzogen wurde, und seinen eigenen inneren Wünschen, die sich in seiner wachsenden Freundschaft mit einem anderen jungen Mann manifestieren, der die gleiche existenzielle Krise zu erleben scheint.
Zwei weitere Highlights aus Bern runden das Tour-Programm ab: Packend und vielschichtig erzählt Georgia Oakley in ihrem Spielfilm BLUE JEAN von einer jungen Sportlehrerin im Newcastle der späten 1980er Jahre. Margaret Thatcher hat mit ihrer Parlamentsmehrheit gerade Section 28 verabschiedet – ein homophobes Gesetz, das „die Förderung von Homosexualität“ verbietet: in der Schule darf niemand wissen, dass Jean lesbisch ist. Doch dann trifft sie in einer Szenebar zufällig einer ihrer Schülerinnen... Der Film erzählt von einer zutiefst repressiven Zeit in Gro߬britannien, zeugt aber auch von der widerständigen Kraft einer queeren Gemeinschaft, die sich in Opposition gegen die Eiserne Lady erst richtig formierte. Ausgezeichnet mit vier British Independent Film Awards!
Olivier Peyons hypnotisch verträumter Spielfilm ARRETE AVEC TES MENSONGES schliesslich basiert auf dem gleichnamigen Bestseller von Philippe Besson und erzählt von einem Autor, der nach Jahrzehnten in seine Heimat zurückkehrt und sich an seine erste große Liebe als 17-Jähriger während eines flirrenden Sommers erinnert. Ein bewegender Film über die Kraft der ersten überwältigenden und unvergesslichen Gefühle für einen anderen Menschen. Für die Rolle des Lucas konnte Peyon Victor Belmondo, Enkel des Schauspielers Jean-Paul Belmondo, gewinnen.
Zur Eröffnung am 9. November präsentiert QueerBienne um 20:30 vor dem Spielfilm ALL THE COLOURS OF THE WORLD ARE BETWEEN BLACK AND WHITE die neue Kampagne Pour une santé queer : Um das Bewusstsein für und die Verbindung rund um die körperliche, geistige und soziale queere Gesundheit zu fördern, organisiert QueerBienne eine Reihe von Veranstaltungen und Aktionen für queere und nicht-queere Menschen. Wir erwarten Naomi Rey und Nino Fournier von QueerBienne zum Gespräch.
BE MOVIE
Das Beste aus dem Berner Filmschaffen zeigen wir vom 17.-19. November. Mit zahlreichen Gästen und Diskussionen zu den Filmen.
PREMIERENFILM
Neben den zahlreichen bereits vorgestellten Premieren im Kontext des Italienischen und queeren Filmschaffens freuen wir uns ganz besonders auf BLACKBIRD BLACKBIRD BLACKBERRY von Elene Naveriani, der gleich am 27. Oktober bei uns startet: Der dritte Spielfilm der georgischen Regisseurin ist charmant, hin und wieder kontemplativ und immer erforschend. Eine berührendere Geschichte über die Selbstliebe.
SPECIALS
Ausserdem präsentieren wir im Rahmen der Schweizer Wohntage am 3. November
LE GRAND PARTAGE von Alexandra Leclèren - ein Filmabend mit Apéro, mit einer Einführung von Lukas Walter. Der Film beleuchtet auf unterhaltsame Weise, wie Dauerfrost und Minusgrade in Frankreich Menschen mit unterschiedlichen sozialen Hintergründen in geteiltem Wohnraum zusammenführen.
Am 14. November 2023, laden wir zu einem weiteren Filmgespräch ein - mit Regisseur Nicolas Humbert, der gemeinsam mit Simone Fürbringer FLOATING ISLAND realisiert hat: eine filmische Reise, in der es um unsere Beziehung zur Welt geht, um unsere Präsenz auf der Erde, um das, was wir auf ihr hinterlassen, was uns prägt und was uns verbindet. Durch eine freie Korrespondenz von Briefen, hypnotischen, manchmal rätselhaften visuellen und akustischen Fragmenten, baut sich der Film mit einer formalen Montage auf und erweckt ein zartes Kinopoem zum Leben. Das Gespräch wird von Dieter Fahrer moderiert.
Am 28. November lädt der Soroptimist International Club Biel-Bienne zum Benefiz-Filmabend mit dem Fokus Beharrlichkeit, Unabhängigkeit, Engagement einer Schweizer Filmemacherin: L'INCROYABLE LULU. Der Eintritt ist frei (Kollekte). Mit Apero und anschliessender Diskussion in Anwesenheit der Protagonistin.